Was ist Proprietary Trading eigentlich?
Bevor ich in meine kritische Analyse einsteige, möchte ich zunächst erklären, worum es beim Proprietary Trading – kurz „Prop Trading“ – eigentlich geht. Der Begriff stammt aus der institutionellen Finanzwelt und hat eine lange Geschichte.
Die traditionelle Definition
Proprietary Trading bedeutet ursprünglich, dass Banken und Finanzinstitute mit ihrem eigenen Kapital handeln, um Gewinne zu erzielen. Wie Wikipedia ausführlich dokumentiert, handelten Investmentbanken wie Goldman Sachs, Morgan Stanley oder Deutsche Bank jahrzehntelang sehr erfolgreich mit eigenem Kapital. Diese Abteilungen gehörten zu den profitabelsten Bereichen der Banken.
Das klassische Modell funktionierte so: Die Bank stellt erfahrenen Tradern Millionen oder Milliarden Dollar zur Verfügung. Diese Trader sind festangestellt, erhalten ein Grundgehalt von typischerweise 200.000 bis 600.000 Dollar plus Boni und handeln mit realem Geld an den Märkten. Firmen wie Jane Street Capital, die heute über 17 Billionen Dollar jährlich handeln, oder Optiver sind moderne Beispiele für echtes institutionelles Prop Trading.
Der Wendepunkt: Die Finanzkrise 2008
Die Finanzkrise 2008 veränderte alles. Wie das Corporate Finance Institute erklärt, wurde in den USA die Volcker-Regel eingeführt, die Banken verbietet, spekulativen Eigenhandel zu betreiben. In Europa gab es ähnliche Regulierungen. Die großen Banken mussten ihre Prop Trading Desks schließen oder ausgliedern.
Genau in diesem Moment entstand eine Marktlücke. Wenn Banken nicht mehr mit eigenem Kapital handeln durften, wer würde dann diese Rolle übernehmen? Die Antwort kam ab 2012 in Form von Online-„Prop Trading Firmen“ – doch diese hatten mit dem ursprünglichen Konzept wenig gemeinsam.
⚠️ Wichtiger rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel stellt ausschließlich meine persönliche Meinung dar, basierend auf öffentlich zugänglichen Informationen und Quellen. Alle genannten Unternehmen dienen als Beispiele aus öffentlichen Berichten und Medienberichten. Dies ist keine Anlageberatung. Ich bin weder Rechtsanwalt noch lizenzierter Finanzberater. Jeder sollte eigene Recherchen anstellen und bei Bedarf professionelle Beratung einholen. Ich übernehme keine Haftung für Entscheidungen, die auf Basis dieses Artikels getroffen werden.
Die neue Welt des Retail Prop Trading
Der Boom während COVID-19
Was als Nische begann, explodierte während der Pandemie. Laut einer Analyse auf Medium von Alec Furrier stiegen die Google-Suchanfragen nach „Prop Firms“ um 526%. Plötzlich schossen Firmen wie FTMO, MyForexFunds, The Funded Trader und Dutzende andere aus dem Boden.
Das Versprechen klang verlockend: „Werde professioneller Trader ohne eigenes Kapital! Bestehe unsere Challenge und handle mit bis zu 400.000 Dollar!“ Doch wie ich im Laufe meiner Recherche feststellen musste, unterscheidet sich dieses Modell fundamental vom traditionellen Prop Trading.
Wie funktioniert modernes Retail Prop Trading?
Das Geschäftsmodell ist eigentlich simpel, wie DailyForex in ihrer ausführlichen Analyse erklärt:
- Die Challenge-Phase: Du zahlst eine „Evaluierungsgebühr“ zwischen 50 und 3.000 Dollar
- Phase 1: Du musst in 30 Tagen 8-10% Gewinn erzielen, ohne mehr als 5% täglich oder 10% insgesamt zu verlieren
- Phase 2: Nochmal 5% Gewinn in 60 Tagen mit denselben Einschränkungen
- „Funded Account“: Nach bestandener Challenge handelst du angeblich mit Firmenkapital
Klingt erstmal fair, oder? Das Problem liegt im Detail – und in den Zahlen.
Die Branche heute: Zahlen, die nachdenklich machen
Der aktuelle Zustand der Industrie
Die Prop Trading Branche befindet sich meiner Meinung nach in einer kritischen Phase. Nach dem explosiven Wachstum 2020-2023 häufen sich nun die Probleme. Finance Magnates berichtete über mehrere große Firmenschließungen allein 2024.
Was mich besonders stutzig macht: Laut Branchenstatistiken von PropFirms.com gibt es mittlerweile über 100 verschiedene Prop Trading Firmen – die meisten davon in unregulierten Offshore-Jurisdiktionen wie den Seychellen oder Vanuatu registriert. Warum nicht in London, New York oder Frankfurt, wo die echten Finanzmärkte sind?
Die schockierenden Erfolgsraten
Hier wird es wirklich interessant – und besorgniserregend. Finance Magnates veröffentlichte eine exklusive Studie über 300.000 Prop Trading Accounts. Das Ergebnis: Nur 7% erhielten jemals eine Auszahlung.
Denken wir darüber nach: Von 100 Tradern, die jeweils 500 Dollar für eine Challenge bezahlen, schaffen es nur 7 überhaupt zu einer Auszahlung. Die Firma kassiert 50.000 Dollar an Gebühren und muss nur an 7 Personen etwas auszahlen. Das ist ein brillantes Geschäftsmodell – für die Firma.
The Funded Trader selbst räumte ein, dass nur 5% ihrer Teilnehmer die Challenge bestehen. Das ist keine Ausnahme, sondern die Regel in der Branche.
Warum scheitern so viele? Meine kritische Analyse
Die mathematisch konstruierten Hürden
Nach meiner eingehenden Analyse der Regelwerke verschiedener Anbieter bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Challenge-Regeln bewusst so gestaltet sind, dass ein Scheitern wahrscheinlicher ist als der Erfolg.
Nehmen wir das Beispiel der typischen FTMO Challenge, dokumentiert auf ihrer offiziellen Seite:
- 10% Gewinnziel in 30 Tagen – Das entspricht einer monatlichen Rendite, von der selbst Hedgefonds träumen
- 5% maximaler täglicher Verlust – Ein schlechter Tag und du bist raus
- 10% maximaler Gesamtverlust – Dieser Drawdown erholt sich nie, einmal erreicht = Game Over
- Mindestens 4 Handelstage – Auch wenn du dein Ziel am ersten Tag erreichst, musst du weiter handeln und riskieren
Besonders perfide finde ich die „Consistency Rule“: Du darfst nicht mehr als 45% deines Gewinnziels an einem Tag erreichen. Warum? Die einzige logische Erklärung aus meiner Sicht: Es verlängert die Challenge und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Fehlers.
Clevertradingconcepts analysierte diese Regeln mathematisch und kam zum Schluss, dass die kombinierte Erfolgswahrscheinlichkeit bei unter 3% liegt.
Das Problem mit Demo-Konten
Was viele nicht wissen und was ich besonders irreführend finde: Die meisten dieser Firmen handeln gar nicht mit echtem Geld. Spotware Systems erklärt in ihrem Industry Guide, dass die überwiegende Mehrheit der Retail Prop Firmen nur mit Demo-Konten arbeitet.
Du denkst, du handelst mit 100.000 Dollar Firmenkapital? In Wirklichkeit ist es oft nur ein Demokonto. Die Firma repliziert möglicherweise einige profitable Trades auf einem echten Konto, aber das war’s. TradeInformer zitiert einen Brancheninsider: „Most of these firms are just selling dreams. The real money comes from challenge fees, not from trading.“
Die dunkle Seite: Skandale und Firmenschließungen
Der Fall MyForexFunds
Der größte Skandal der Branche war zweifellos MyForexFunds. Die CFTC erhob im August 2023 Anklage wegen Betrugs in Höhe von 310 Millionen Dollar. Die Vorwürfe waren schwerwiegend:
- Manipulation von Trades zum Nachteil der Kunden
- Künstliche Spreads und Slippage
- Willkürliche Kontosperrungen bei profitablen Tradern
Auch wenn ein Special Master später die Abweisung empfahl – aus prozeduralen, nicht inhaltlichen Gründen – bleibt der schale Beigeschmack.
Die Welle der Schließungen 2023-2024
MyForexFunds war nur die Spitze des Eisbergs:
- True Forex Funds schloss im Dezember 2024
- SurgeTrader verschwand im Mai 2024 nachdem der Ehemann der Gründerin wegen eines Ponzi-Schemas angeklagt wurde
- Funding Talent und mehrere andere stellten ebenfalls den Betrieb ein
Selbst bei den „Großen“ gibt es Probleme
FTMO gilt als einer der seriöseren Anbieter mit 4.8 Sternen auf Trustpilot. Doch schaut man genauer hin, findet man auf Forex Peace Army hunderte Beschwerden über:
- Verweigerung von Auszahlungen über 15.000 Dollar
- Nachträglich geänderte Regeln
- Kontosperrungen ohne klare Begründung
Ein Trader dokumentierte seinen Fall ausführlich: Nach mehreren erfolgreichen Auszahlungen wurde sein Konto ohne Vorwarnung gesperrt. Die Begründung? „Verdacht auf unrealistisches Trading“ – obwohl er alle Regeln befolgt hatte.
Das Affiliate-Problem: Wenn Influencer mitverdienen
Die Provisionsstrukturen
Ein Aspekt, der meiner Meinung nach viel zu wenig diskutiert wird, ist das massive Affiliate-Marketing in dieser Branche. AFFNinja listet die Provisionen auf:
- FTMO: 15-20% lebenslange Provision
- FundedNext: bis zu 18% plus Boni
- The Funded Trader: 15% wiederkehrend
Das bedeutet: Wenn ein YouTuber dich zu einer 500-Dollar-Challenge vermittelt, verdient er 100 Dollar – egal ob du bestehst oder nicht. Bei 1.000 Followern, von denen 100 eine Challenge kaufen, sind das 10.000 Dollar Provision. Kein Wunder, dass YouTube voll ist mit „How I passed the FTMO Challenge“ Videos.
Der Interessenkonflikt
PropTraderHub berichtet über einen globalen Crackdown gegen irreführende Werbung von Prop Firm Influencern. Viele verschweigen ihre Affiliate-Beziehungen oder stellen unrealistische Gewinnerwartungen dar.
Ich finde es ethisch fragwürdig, wenn Content Creator von den Verlusten ihrer Zuschauer profitieren. Das erinnert mich stark an Multi-Level-Marketing-Systeme.
Was sagen die Regulierungsbehörden?
Die Warnung der BaFin
Die deutsche Finanzaufsicht warnt explizit vor unregulierten Trading-Plattformen. Viele Prop Trading Firmen fallen in diese Kategorie, da sie bewusst in Offshore-Jurisdiktionen operieren.
ESMA-Statistiken zum Retail Trading
Die ESMA-Daten, analysiert von InvestinGoal, zeigen, dass selbst bei regulierten Brokern 71-89% der Retail Trader Geld verlieren. Bei unregulierten Prop Firms dürfte die Quote noch höher sein.
Die Mathematik dahinter: Eine nüchterne Betrachtung
Der Erwartungswert für Trader
Rechnen wir mal durch, was ein durchschnittlicher Trader erwarten kann:
Annahmen basierend auf öffentlichen Daten:
- Challenge-Gebühr: 500 Dollar
- Erfolgswahrscheinlichkeit: 7% (Finance Magnates Studie)
- Durchschnittliche Auszahlung bei Erfolg: 4.000 Dollar
- Wahrscheinlichkeit mindestens einer Auszahlung: 45% der Erfolgreichen
Berechnung:
- Erwartete Auszahlung: 0,07 × 0,45 × 4.000 = 126 Dollar
- Minus Challenge-Gebühr: 126 – 500 = -374 Dollar
Der mathematische Erwartungswert ist eindeutig negativ. Du würdest statistisch besser fahren, wenn du die 500 Dollar in einen ETF investierst.
Der Erwartungswert für die Firma
Umgekehrt sieht die Rechnung für die Firma rosig aus:
- Einnahmen von 93% Verlierern: 930 × 500 = 465.000 Dollar
- Auszahlungen an 7% Gewinner: 70 × 0,45 × 4.000 = 126.000 Dollar
- Nettogewinn: 339.000 Dollar pro 1.000 Teilnehmer

Meine persönliche Meinung: Was tun, wenn man dabei ist?
Nach all dieser Kritik möchte ich auch konstruktiv sein. Falls du bereits in einer Prop Trading Challenge bist oder sogar ein finanziertes Konto hast, hier mein persönlicher Rat:
Wenn du Gewinne hast – bleib dabei, aber sei smart!
Gehörst du zu den wenigen Prozent, die tatsächlich profitabel handeln, dann gratuliere ich dir! Mein Rat: Bleib dabei, aber nur bei den großen, etablierten Anbietern. Warum?
- Größere Firmen haben mehr zu verlieren: FTMO oder The Funded Trader können sich einen Reputationsschaden weniger leisten als kleine No-Name-Firmen
- Dokumentiere alles: Screenshots, Trades, Kommunikation – im Streitfall brauchst du Beweise
- Zahle regelmäßig aus: Lass keine großen Summen ansammeln. Besser öfter kleine Beträge auszahlen
- Diversifiziere: Wenn du wirklich gut bist, warum nicht bei mehreren Firmen handeln?
Die Alternative: Eigenes Kapital aufbauen
Meiner Meinung nach ist der nachhaltigere Weg, eigenes Kapital aufzubauen. Ja, es dauert länger, aber:
- Du hast volle Kontrolle
- Keine willkürlichen Regeln
- 100% deiner Gewinne gehören dir
- Kein Risiko von Firmenschließungen
Warum das System trotzdem funktioniert (für die Firmen)
Die Psychologie dahinter
Das Geschäftsmodell nutzt geschickt psychologische Trigger aus, wie TradeCiety in ihrer Analyse erklärt:
- Der Traum vom schnellen Geld: „Handle mit 100.000 Dollar!“ klingt verlockender als „Spare erstmal 10.000 Dollar an“
- Die Illusion der Fairness: Die Regeln wirken auf den ersten Blick reasonable
- Survivorship Bias: Die wenigen Erfolgreichen werden prominent präsentiert
- Sunk Cost Fallacy: Nach 2-3 gescheiterten Versuchen denken viele „Jetzt hab ich’s verstanden“ und zahlen erneut
Das Affiliate-Ökosystem
Die Branche hat ein selbsterhaltendes System geschaffen. Influencer verdienen an Neukundengewinnung, „erfolgreiche“ Trader werden zu Influencern, und der Kreislauf beginnt von vorne. Es ist ein modernes Perpetuum Mobile – angetrieben von den Träumen und dem Geld hoffnungsvoller Trader.
Fazit: Meine ehrliche Einschätzung
Nach monatelanger Recherche und Analyse komme ich zu einem klaren Schluss: Das moderne Retail „Prop Trading“ hat mit echtem Proprietary Trading wenig zu tun. Es ist meiner Meinung nach primär ein Gebühren-Extraktions-Modell, das von den Träumen der Teilnehmer lebt.
Die Fakten sprechen für sich:
- Nur 7% erhalten jemals eine Auszahlung (Finance Magnates Studie)
- Die meisten Firmen operieren nur mit Demo-Konten
- Das Geschäftsmodell basiert auf Challenge-Gebühren, nicht auf Trading-Erfolg
- Regulatorische Grauzonen werden bewusst ausgenutzt
- Affiliate-Marketing schafft massive Interessenkonflikte
Heißt das, dass alle Prop Trading Firmen Betrug sind? Nein, das wäre zu pauschal. Es gibt sicherlich einige seriösere Anbieter. Aber das Geschäftsmodell an sich ist meiner Meinung nach problematisch.
Mein abschließender Rat
Wenn du trotz allem eine Prop Trading Challenge versuchen möchtest:
- Sieh es als Unterhaltung, nicht als Karriereweg
- Investiere nur Geld, das du verlieren kannst
- Lies die AGBs genau – wirklich genau!
- Lass dich nicht von Influencern blenden
- Berechne deinen realistischen Erwartungswert
Und wenn du zu den wenigen Glücklichen gehörst, die es schaffen: Herzlichen Glückwunsch! Aber vergiss nie, dass du die Ausnahme bist, nicht die Regel. Bleib bei den großen Anbietern, zahle regelmäßig aus und baue parallel eigenes Kapital auf.
Die Wahrheit über Prop Trading ist unbequem, aber sie muss ausgesprochen werden. Die Industrie verkauft Träume, liefert aber hauptsächlich Enttäuschungen. Es ist Zeit, dass mehr Menschen das verstehen.
Über den Autor: Philipp Greineder beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Finanzmärkten und Trading-Systemen. Dieser Artikel basiert auf monatelanger Recherche öffentlich verfügbarer Quellen. Die hier geäußerten Ansichten sind persönliche Meinungen und stellen keine Anlageberatung dar.
Rechtlicher Hinweis: Alle Angaben ohne Gewähr. Bei konkreten Fragen zu spezifischen Anbietern konsultieren Sie bitte einen Rechtsanwalt oder lizenzierten Finanzberater. Der Autor übernimmt keine Haftung für Handelsentscheidungen, die auf Basis dieses Artikels getroffen werden.
